Spezielle Merkmale prozessualer Rechtstatsachen in der Zivilprozessordnung der Ukraine

Oleksandr Bratel

Kandidat der Rechtswissenschaften, Dozent,

Der Leiter des Instituts für Zivilarbeit

Globale Organisation Alliierten Führung

 

 

Prozessuale Rechtstatsachen spielen eine grundlegende Rolle bei der Regulierung zivilrechtlicher prozessualer Beziehungen, indem sie mit ihrem jeweiligen Inhalt das Modell des Rechtsverhaltens gestalten und die Entwicklung der genannten Rechtsverhältnisse bedingen. Prozessuale Rechtstatsachen sind die treibende Kraft bei der Realisierung und Einführung juristischer Vorschriften von Rechtsnormen in einer konkreten Rechtslage.

Unter prozessualen Rechtstatsachen sind bestimmte Lebensumstände zu verstehen, durch welche die Rechtsnormen mit dem Entstehen, der Änderung oder der Auflösung zivilrechtlicher prozessualer Rechtsbeziehungen im Zusammenhang stehen.

Prozessuale Rechtstatsachen können anhand solcher Hauptparameter wie: Begriff, Rechtsnatur, Merkmale, Funktionen, System, Arten, Klassifikation, Elemente und Dynamik untersucht werden.

Die Analyse der wissenschaftlichen juristischen Literatur zeugt vom fragmentarischen Charakter der Erforschung der prozessualen Rechtstatsachen, die für zivilrechtliche prozessuale Rechtsbeziehungen charakteristisch sind. Am aufschlussreichsten ist V.V. Yarkov dieser Frage in seinen wissenschaftlichen Werken nachgegangen. Der Gelehrte schlägt vor, die folgenden Merkmale prozessualer Rechtstatsachen hervorzuheben, die insgesamt diese Rechtskategorie allgemein charakterisieren: das sind die realen Lebensumstände, die in den Rechtsnormen verankert sind; sie sind authentisch oder können fehlerhaft sein oder sogar einen Justizirrtum darstellen; sie verursachen konkrete Rechtsfolgen unter Berücksichtigung des dispositiven Charakters der Verfahrensrechte; die Erkenntnis und Festlegung erfolgen in der entsprechenden Rechtsform [1, S. 43-44].

O.D. Kutadeladze grenzt die Merkmale prozessualer Rechtstatsachen als eine zivilrechtliche Kategorie ab und weist darauf hin, dass Rechtstatsachen konkrete, individuelle Sachverhalte seien, die in Raum und Zeit existieren und auch objektiv das Bestehen oder das Nichtvorhandensein von Erscheinungen der materiellen Welt charakterisieren. Außerdem seien sie direkt oder indirekt in den Rechtsnormen vorgesehen, die in verfahrensverbindlicher Form in der Gesetzgebung der Ukraine verankert sind. Die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen sind von informativem Charakter [2, S. 60].

Die Analyse der Zivilprozessordnung der Ukraine (weiterhin „ZPO der Ukraine“ genannt) [3] und der juristischen Literatur ermöglicht es, folgende Merkmale der prozessualen Rechtstatsachen hervorzuheben, die für zivilrechtliche Rechtsbeziehungen charakteristisch sind.

1). Konkrete Lebensbedingungen. Objektive Alltagsprozesse sind der Generator für vielfältige soziale Fakten, die durch das Verhalten der Menschen und auch durch von ihnen unabhängige Naturerscheinungen verursacht werden. Überwiegend solche Prozesse von objektiver Realität erlangen juristische Merkmale im Hinblick auf ihre Bewertung seitens des Gesetzgebers und ihrer jeweiligen Verankerung in den Rechtsnormen. Eben die juristische Bewertung der genannten Prozesse transformiert sie aus dem sozialen Bereich in die juristische Sphäre, wodurch den realen Lebensumständen der Status juristischer Tatsachen verliehen wird.

Juristische Tatsachen in Form strittiger Rechtsverhältnisse, bei denen eine der Parteien eine natürliche Person ist, ermöglicht es den Zivilrechtssubjekten (natürlichen und juristischen Personen, dem Staat Ukraine, der Autonomen Republik Krim, territorialen Gemeinden, ausländischen Staaten und anderen Subjekten des öffentlichen Rechts) den Rechtsweg mit dem Ziel einzuschlagen, eigene verletzte, nicht anerkannte oder angefochtene Rechte, Freiheiten bzw. Interessen zu verteidigen. Die Inanspruchnahme des Gerichts und die damit verbundenen Gerichtsprozesse führen zur Entwicklung prozessualer Rechtstatsachen, die das Entstehung, Änderung oder Auflösung zivilrechtlicher prozessualer Rechtsbeziehungen, insbesondere der Rechtsbeziehungen in Zivilklageverfahren verursacht.

2). Gesetzliche Verankerung). Im Alltagsleben vorkommende Handlungen bzw. Ereignisse erhalten eine juristische „Nuance“ und führen zum Eintreten von Rechtsfolgen, wenn sie in den Normen des Verfahrensrechtes vorgesehen sind. Die Wechselwirkung der genannten sozial-juristischen Elemente kann durch juristisch logische Gesetzmäßigkeit nachverfolgt werden, und zwar: der Eintritt von Rechtsfolgen ist unter der Voraussetzung möglich, dass die Rechtstatsache in einer Rechtsnorm vorgesehen ist. So ist zum Beispiel die vorherige Absprache zwischen dem Kläger und dem Beklagten über die Beilegung eines Streits durch eine gütliche Einigung als eine Rechtstatsache anzusehen, die gesetzlich im Artikel 175 ZPO der Ukraine vorgesehen ist. Rechtsfolgen würde diese Absprache nur dann haben, wenn beide Parteien des Zivilverfahrens einen gemeinsamen Güteantrag vor Gericht stellen würden.

3). Konsequenz (consequatur (Lat.) ‒ Folgen). Die Konsequenz prozessualer Rechtstatsachen liegt darin, dass die Handlungen der Subjekte des Zivilverfahrens oder von ihrem Willen unabhängige Ereignisse als Rechtstatsachen im Hinblick auf ihre Verankerung in den Rechtsnormen anerkannt werden, die zum Eintreten der Rechtsfolgen führen können. Eine prozessuale Rechtsvorschrift ist durch ihren unpersönlichen Inhalt und dadurch gekennzeichnet, der sie an eine Person gerichtet ist, deren Verhalten der Wirkung einer Rechtsnorm unterliegt. Die Rechtsnorm an sich erlangt praktische Realisierung erst unter der Voraussetzung, dass Rechtstatsachen eintreten, die ihrerseits als Grundlage der prozessualen Tätigkeit anzusehen sind.

Die Konsequenz der prozessualen Rechtstatsachen kann sich in Folgendem äußern: Entsprechend dem Artikel 15 des Zivilgesetzbuches der Ukraine [4] hat jede Person das Recht auf Verteidigung ihrer Zivilrechtes, falls dieses Recht verletzt, nicht anerkannt oder durch Anwendung der im Artikel 16 dieses Gesetzbuches zulässigen, und durch das Gericht wahrgenommenen Verteidigungsmittel für Zivilrechte und ‑interessen angefochten wurde

Die Anrufung des Gerichtes zur Verteidigung der verletzten Rechte (die Rechtstatsache) im Klageverfahren ist in den Artikeln 118 - 120 ZPO der Ukraine geregelt. Die Klageschrift und ihre unmittelbare Einreichung bei Gericht ist als eine prozessuale Rechtstatsache anzusehen, die in den Normen der ZPO der Ukraine verankert ist. Die Einreichung der Klageschrift bei Gericht kann Rechtsfolgen wie Gerichtsbeschlüsse über die Verfahrenseröffnung, Klageabweisung, Klagerückverweisung und die Ablehnung der Eröffnung der Hauptverhandlung verursachen.

Demzufolge ist die Konsequenz prozessualer Rechtstatsachen möglich, sofern eine entsprechende Verfahrensnorm, das ordnungsgemäße Verfahrensverhalten der Subjekte des Verfahrensrechtes und die Verankerung in dem entsprechenden Verfahrensdokument vorliegen.

4) Räumlich-zeitliche Bestimmung. Die überwiegende Mehrheit der prozessualen Rechtstatsachen ist durch ihre räumliche und zeitliche Bestimmung bei ihrer Verwendung gekennzeichnet. Die räumliche Bestimmung ist vor allem durch den Gerichtsstand in Zivilsachen bedingt, wodurch der Realisierungsbereich für prozessuale Rechtstatsachen auf den Sitz des Gerichtes, in welchem in Zivilsache verhandelt wird, beschränkt wird. Die genannte Regel bezieht sich auf prozessuale Rechtstatsachen, die sowohl durch Handlungen der Subjekte des Zivilprozessrechtes als auch durch Ereignisse bedingt sind, die davon unabhängig sind. Unter diesem Aspekt äußert sich die Imperativität der prozessualen Rechtstatsachen: Gerichtsverhandlungen finden in einem extra dafür eingerichteten Raum des Gerichts, und zwar in einem Gerichtssaal (Art. 158 ZPO der Ukraine) statt; nach den Plädoyers begibt sich das Gericht in ein Beratungszimmer (in einen extra für die Annahme gerichtlicher Entscheidungen eingerichteten Raum) zur Beschlussfassung (Art. 195 ZPO der Ukraine).

Die zeitliche Bestimmung prozessualer Rechtstatsachen besteht im Erlassen von Rechtsnormen zur Regelung der zeitlichen Beschränkungen für bestimmte Verfahrenshandlungen. Beispielsweise verhandelt das Gericht Zivilsachen innerhalb eines vernünftigen Zeitraums, spätestens innerhalb von zwei Monaten nach der Eröffnung des Verfahrens (Art. 157 ZPO der Ukraine); die Berufungsklage ist innerhalb von zehn Tagen nach der Beschlussverkündung einzureichen (Art. 294 ZPO der Ukraine); die Kassationsklage kann binnen zwanzig Tagen nach dem Inkrafttreten des Beschlusses des Berufungsgerichtes eingereicht werden (Art. 325 ZPO der Ukraine).

5) Aufzeichnung in einem Verfahrensdokument. Die Verhandlung in einem Zivilklageverfahren ist untrennbar mit prozessualen Rechtstatsachen verbunden, welche die nachhaltige Entwicklung der Rechtsverhältnisse in Zivilverfahren gewährleisten muss. Prozessuale Rechtstatsachen bedingen das Entstehen, die Änderung oder die Beendigung der Rechtsverhältnisse in Zivilverfahren in einem jeglichen Stadium des Zivilverfahrens; sie bedürfen der ordnungsgemäßen juristischen Aufzeichnung in einem entsprechenden Verfahrensdokument, um ihre Konsequenz zu bestätigen und festzuhalten. Die Konsequenz der prozessualen Rechtstatsachen äußert sich in der Verankerung der prozessualen Tätigkeit des Gerichtes bzw. der am Zivilverfahren Beteiligten durch die in der ZPO der Ukraine vorgesehenen Verfahrensmittel und zwar: Erklärung, Klageschrift, Beschwerde, Antrag, gerichtliche Genehmigungen, Gerichtsentscheidungen und Gerichtsverfügungen. Die Aufzeichnung prozessualer Rechtstatsachen erfolgt in Schriftform. Deshalb ist die Tatsache nicht zu bestreiten, dass mündliche Vorträge der Parteien, dritter Verfahrensbeteiligter und deren Vertreter, Zeugenaussagen, die über die Merkmale prozessualer Rechtstatsachen verfügen, ebenso einer angemessenen prozessualen Aufzeichnung während der Gerichtsverhandlung mittels einer Tonaufnahmeanlage und gleichzeitiger Protokollführung der Gerichtsverhandlung unterliegen.

Schlussfolgerung. Die Untersuchung der prozessualen Rechtstatsachen im Zivilprozess der Ukraine ermöglicht, die ihr wesenseigenen und wichtigsten Merkmale hervorzuheben. Prozessuale Rechtstatsachen sind konkrete Lebensumstände, die in Rechtsnormen verankert und durch räumlich-zeitliche Bestimmung und Konsequenz gekennzeichnet sind und der Aufzeichnung in einem entsprechenden Prozessdokument unterliegen.

Literaturliste:

1. Ярков В.В. Юридические факты в механизме реализации норм гражданского процессуального права: диссертация … доктора юридических наук: 12.00.03. ‒ Екатеринбург, 1992. ‒ 523 с.

2. Кутателадзе О. Д. Категорія «юридичні факти» та підстави виникнення зобов’язань за цивільним законодавством України / О. Д. Кутателадзе // Митна справа. – 2005. – № 4. – С. 59-63.

3. Цивільний процесуальний кодекс України від 18.03.2004 р. // Zugang: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/1618-15/page

4. Цивільний кодекс України від 16.01.2003 р. // Zugang: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/435-15